dieruhrgebietsradler

Eine Fahrt auf dem Green Velo in Polen

Green Velo (GV) – ein etwas anderer europäischer Fernradweg

 

Radfahren in Polen, ein Fernradweg von 1800 km Länge entlang der Grenze zu Russland, Litauen, Weißrussland, der Ukraine und der Slowakei, von der EU zur Förderung strukturschwacher Gebiete finanziert, ein gut aufgemachter Internet-Auftritt und Warnungen von Leuten, die ihn ein Stückchen gefahren sind: ich finde das ist eine spannende Mischung von Eigenschaften, die nicht so richtig zusammen passen. Und die ich gerade deshalb interessant fand und noch immer interessant finde.

So bin ich also Ende August 2019 in Elbląg östlich von Danzig gestartet und die ersten 800 km des Green Velo (GV) bis Białystok gefahren.

Sehr viele Informationen hatte ich nicht gefunden. Ich hatte den Track auf mein Navi geladen und grobe Karten von der Internetseite ausgedruckt für die Planung. Ferner hatte ich ein stabiles Reiserad mit dicken Reifen, die üblichen Dinge für Radtouren sowie ein Zelt, Schlafsack und Kocher dabei.

Mein persönliches Resumée:
Ich habe nicht das gefunden, was ich erwartet hatte, nämlich einen Radweg, auf dem ich am Tag meine gewohnte Strecke fahren konnte,
aber ich bin vollkommen begeistert.

Was ich gefunden habe:

  • Einen Zugang zu Natur wie ich ihn schon lange nicht mehr hatte. Das ist auch der Grund für meine große Begeisterung. Ich kann die Einschätzung, die Strecke sei zum großen Teil langweilig, überhaupt nicht teilen.
  • Gelassenheit. Wenn es zu sandig ist, wird eben geschoben. Und die Tagesetappe etwas kleiner. Das hatte einen sehr positiven Effekt auf die Wahrnehmung der Natur, in der ich mich bewegt habe.
  • Nette, hilfsbereite Menschen. Leider blieb der Kontakt oft oberflächlich, da ich kein Polnisch spreche.
  • Storchennester in erstaunlicher Anzahl und Größe. Die Störche waren frecherweise schon weg.
  • Viel Schotter, Sand und Plattenwege auf dem GV. Ich wusste gar nicht, dass es schlimme und sehr schlimme Plattenwege gibt. Letztere fördern die Gelassenheit (siehe oben).
  • Straßen zwischen Orten, die nicht asphaltiert sind. Das reduziert den Autoverkehr auf das absolut Nötigste.
  • Viele Kilometer lang Alleen mit teilweise sehr alten Bäumen. Dabei fiel mir irgendwann wieder ein, dass es das in Deutschland auch mal gab. Bis eine gemeinsame Aktion von ADAC und wenn ich mich recht erinnere der Verkehrswacht mit dem sinngemäßen Namen „Kampf dem Alleentod“ den Alleen dann den Tod brachte. Man konnte leider die Autofahrer*innen nicht dazu bewegen, sich den vorhandenen Gegebenheiten in Geschwindigkeit und Fahrverhalten anzupassen und nicht gegen die Alleebäume zu rasen.
    Und man wollte es auch nicht.
  • Eine recht gute GV-Beschilderung des Weges, vor allem an Stellen ohne Kreuzung. So wusste ich wenigstens, dass ich richtig war.
  • In unregelmäßigen Abständen (ca 40 km Abstand) perfekte Picknickplätze („MOR“). Mit großer Schutzhütte, Wiese, Tischen und Bänken drinnen und draußen, Fahrrad-Abstellmöglichkeiten und an manchen Plätzen Dixi-Klo (absolut benutzbar). Hier kann man auch mal wild zelten. Das wird außerhalb der Naturschutzgebiete toleriert, manchmal blieb mir auch gar keine andere Wahl.
  • Ab und zu einen Sklep („Laden“). Diese Läden auf dem Land sind etwa so groß wie unser Wohnzimmer. Sie sind immer gut sortiert mit Wodka, Krupnik, Bier etc. Ansonsten haben sie das, was der*die Besitzer*in für wichtig erachtet, manchmal neben Nudeln und Konserven auch Obst, Gemüse, Brot, manchmal auch nicht. Auf jeden Fall sollte man berücksichtigen, dass man nicht weiß, wann der nächste Sklep kommt. Die Orte liegen teilweise weit voneinander entfernt und lange nicht jeder hat einen Sklep.
  • Im Schnitt alle 3 Tage jeweils 2 Radfahrer*innen auf dem Weg. Vielleicht sind es in den Ferien mehr.
  • Immer wieder die Konfrontation mit unserer Vergangenheit:
    Riesige deutsche Bunkeranlagen aus dem zweiten Weltkrieg, Mahnmale zu Massakern, vor allem an der jüdischen Bevölkerung, Tafeln zu Schlachten, Soldaten-Friedhöfen,....
  • Ehemalige Bahntrassen auf denen der GV verläuft. Die Bahn-Schwellen sind entfernt, der Schotter – auch, ersetzt durch etwas feineren Schotter.
  • Gute Zugverbindungen auch an den östlichen Rand von Polen und incl. Fahrradmitnahme. Um hinzukommen, ist absolut kein Auto und schon gar nicht das Flugzeug notwendig.
  • Einen guten freundlichen Serwis Rowerowy in einer Garage in einem Hinterhof in Gołdap, der mir mithilfe von dpd innerhalb eines halben Tages ein neues Hinterrad besorgt und eingebaut hat, da die Felge gebrochen war (Materialermüdung).


Was ich nicht oder wenig gefunden habe:

  • Gefährliche Hunde, vor denen ich gewarnt worden war.
  • Die GV-Beschilderung an manchen Kreuzungen mitten in der Natur.
  • Cafes. In vielen größeren Orten habe ich auch ein Restaurant nicht gefunden. Einen Kocher mitzunehmen empfehle ich sehr.
  • Genießbaren Kaffee.
  • Möglichkeiten für Shopping und Konsum. Der Teil Polens, durch den ich gefahren bin, ist das Armenhaus von Polen.

  • Asphaltierte Strecken waren eher selten bis sehr selten zumindest auf diesem Teil des GV.
  • Sehr selten Kontakt mit Autoverkehr. Wenn es tatsächlich eine kurze Strecke an einer größeren Straße entlang ging, gab es auch einen abgetrennten Radweg (→ EU).

Also:

Ich weiß jetzt was mich erwartet und kann mich darauf einstellen. Nächstes Jahr fahre ich zumindest die „restliche“ Strecke oder den gesamten Weg. Ich schätze für den gesamten Weg mit guter Kondition mindestens 6 Wochen.
Ich werde aber auf jeden Fall Besichtigungen und Führungen in den Nationalparks planen.

 

Praktische Hinweise:

www.greenvelo.pl finde ich eine ordentlich aufgemachte Seite. Der Eindruck, den sie vermittelt deckt sich allerdings nicht immer mit der Realität. Die App für unterwegs hat mir nicht geholfen.

Wie ich leider erst in Polen erfahren habe: Es gibt beim polnischen Fremdenverkehrsamt Rad-Karten des GV für die meisten Provinzen. Sie sind leider nicht einheitlich sondern je nach Provinz klein oder groß. Die käuflichen Karten haben zum Radfahren keinen geeigneten Maßstab.

 

... und einige Eindrücke:

Perfekte Picknickplätze ("MOR), meist in wunderschöner Lage, mit großer Wiese und in der Regel sauber

 

Viele kilometerlange Alleen - Storchennester, hier eines in einem Agroturystyka (etwa "Ferien auf dem Bauernhof", prima zum Übernachten)

 

Der nette und kompetente Fahrradmeister in Gołdap - Dorfidylle mit mittelmäßig gefährlichen Hunden - witzige Schilder

 

Lidzbark Warmiński, Heilsberg

 

Am Dreiländereck Polen/Russland/Litauen - Freundliche Geste der Bewohner von Jagodnik für Radfahrer - traumhafte Übernachtungsplätze

 

Der Radweg vergrößert öfter mal die Gelassenheit des Radfahrers. Die Schilder zeigen: alles ok.

 

Schotter, Platten und kleine, aber schlimme Platten